“Der Mann auf dem Schirm zieht die ganze Party zu sich, entfacht Gespräche, dominiert in leiblicher Abwesenheit und höchster geistiger Präsenz bald den Rest der Nacht.” aus dem nachruf von dietmar dath in der faz vom 121211
“Der Mann auf dem Schirm zieht die ganze Party zu sich, entfacht Gespräche, dominiert in leiblicher Abwesenheit und höchster geistiger Präsenz bald den Rest der Nacht.” aus dem nachruf von dietmar dath in der faz vom 121211
den sachbuchpreis der leipziger buchmesse durfte matthias frings nicht kriegen, dafür kriegt er kritiken wie die nachfolgend zitierten. übrigens: im schernikau blog können sie auch ihre eigene rezension veröffentlichen.
Frings, der später auch als Moderator des erfreulich unverklemmten Erotik-Fernsehmagazins „Liebe Sünde“ bleibende Verdienste erwarb, hat Schernikau in Berlin kennengelernt. Da war der Dichter, der „kleinstadtnovelle“ wegen, gerade eine vom Gerücht zur Berühmtheit sich aufschwingende Erscheinung, ein Wunderkind, ein Prinz. Frings baut einige Sätze, die viel Spaß machen („In diesem Sommer waren alle verliebt“), er versteht etwas von Bohemesoziologie, man lernt von ihm viel über Schlager, Rauschzustände, die feine Kunst der angeschickerten Konversation, Camp, das Schwärmen, das In-die-Wolken-Gucken und über Schernikaus Weg aus der Provinz ins Zentrum. Die Mutter des Dichters hatte ihn als Kind aus der DDR geschmuggelt, aber diese DDR, die sich hier einmal in Kunstdingen schlauer zeigte als sonst leider allzu oft, war mitgekommen bei jener Westreise, jedenfalls als Idee. In deren Wirklichkeit wollte Schernikau, der wusste, dass Ideen verhungern, wenn man sie künstlich von der Wirklichkeit trennt, später unbedingt zurück. Er hat es gerade noch geschafft, bevor der Staat, dem Schernikau zutraute, sein Zuhause werden zu können, versunken ist. Auch davon erzählt das Buch. dietmar dath in der faz
Das Merkwürdigste an Ronald M. Schernikau ist seine Literatur. Zugegeben, sein Leben ist auch ziemlich merkwürdig, jedenfalls solange wir meine, deine oder Spießers straighte Lebenslinie zum Vergleich nehmen. Als Kind im Kofferraum aus der DDR geschmuggelt, danach jahrzehntelang diesen Staat erträumend, ersehnend, in dessen realer und geistiger Welt er sich besser auskennt als wir uns im Raumschiff Enterprise; ein schwuler Kommunist – mit anderen Worten ein Widerspruch in sich; die ganze Hybridität, die daraus folgt: ein Propagandastück für ein Tuntenensemble, ein Schlager gegen Reagan für Marianne Rosenberg, ein monumentales Musical auf marxistischer Grundlage; schließlich der Schriftsteller, der allerletzter Bürger der DDR wird, mit 31 Jahren einen Tausendseiter abschließt und eine Woche darauf stirbt. Und das sind nur einige Daten.
Matthias Frings hat in seiner gründlich recherchierten Biografie all diese Kuriositäten ausgebreitet, und es ist dennoch kein Kuriositätenkabinett dabei herausgekommen. Wie ist ihm das gelungen? Indem er genau das getan hat, was ihm nun einige vorhalten: Er hat sich nicht auf die eine Person beschränkt, er hat keine bürgerliche Biografie geschrieben. Er verknüpft das Leben von Ronald M. Schernikau mit dem Ellen Schernikaus, das des Sohnes mit dem der Mutter, er täuscht keine Objektivität vor, sondern schreibt aus seiner eigenen Perspektive, er zeigt nicht the one and only, sondern einen Freundeskreis, eine Szene, eine Zeit, eine Gesellschaft. Anders gesagt: Er baut sein Buch nach Schernikaus Poetik. stefan ripplinger in der jungleworld
Matthias Frings deutet Schernikaus Leben nicht, er schnürt diesen von Politik und Sex und Kunst überquellenden Koffer nicht mit dem Gurt einer These zusammen. Es wäre von einem Freund auch zu viel verlangt. Frings hat ein persönliches, liebevolles, dabei dokumentarisches Werk über die Ikone einer Zeit geschaffen, in der die Politisierung von Sex und Identität ihren Höhepunkt erreichte.
Ob die ideologisierte Lust sich ohne Aids und Mauerfall anders entwickelt hätte als zum Hedonismus der Love Parade, zum coolen Sexkonsum? Und was wäre dann aus Ronald M. Schernikau geworden?
Leichter zu sagen ist, was von ihm bleiben sollte. Zündfunken wie die “einfache Probe” etwa, mit der Schernikau neue Leute testete, indem er das Gespräch auf Ideal und Wirklichkeit lenkte. Jammerte der Andere über die Wirklichkeit, konnte man ihn vergessen, redet er über seine Ideale: Dann wurde es interessant. wilhelm trapp in der süddeutschen