Ronald M. Schernikau
Rede auf dem Kongreß der Schriftsteller der DDR, 1. bis 3. März 1990
Meine Damen und Herren,
der Eine weiß das Eine und der Andere das Andere. Ich bin Ronald M. Schernikau,
ich komme aus Westberlin, ich bin seit 1. September 1989 DDR-Bürger, ich habe
drei Bücher veröffentlicht und ich bin Kommunist.
Die Dummheit der Kommunisten halte ich für kein Argument gegen den Kommunismus.
Honeckers Versuch, ein guter König zu sein, so klein und mickrig er auch ausfiel,
er war der Versuch zu Konsens. Das Faszinierende an dem Terror der Geistlosigkeit
unter Honecker war für mich immer das deutliche Gefühl: Wenn die dürften, wie
die wollten, wäre das die Versammlung der Klügsten. Nein, mehr: Es ist, durch
den Terror hindurch, schon jetzt diese Versammlung.
Weshalb wollte die DDR nicht, daß man sie lobt? Das werde ich niemals verstehen.
In den Westbüchern der Dissidenten las ich immer nur das ungeheure Lied auf
die Zukunft. Ich verneige mich vor ihnen allen, und es gibt gegen ihre Erfahrung
kein Aber.
Aber da war dieser Konsens. Ich vermute, Sie alle haben diesen Konsens unterschätzt.
Er war es, von dem Sie lebten. Er hat Ihre Reden so kunstvoll gemacht, Ihre
Kinderbücher so lustig, Ihren Blankvers so spannend. Die BRD hat in ihren vierzig
Jahren keinen einzigen Blankvers hervorgebracht, keinen einzigen. - Verteidigt
werden müssen nicht mehr Sätze, verteidigt werden muß die Fähigkeit zu Blankvers.
Es gibt keinen Blankvers ohne Konsens. Warum haben alle mitgemacht? Weil Sozialismus
war.
Wer sich von der Fantasielosigkeit seiner Lehrer beeindrucken läßt, ist selber
schuld. Wenn die Dummheit der Kommunisten die Leute zu Antikommunisten gemacht
hat: dann war sie deren furchtbarster Fehler.
Die Theaterstücke der letzten Phase der DDR beruhten immer darauf, daß der Feind,
von dem alle sprachen, ausblieb. Die Kinder kannten den Feind nur als Entschuldigung
für das Versagen des Königs. Schließlich glaubten sie nicht mehr an ihn, und
die Schauspieler- innen mußten am Schluß auf dem Tisch tanzen. Das war die Antwort:
Wenn es keinen guten König gibt, dann wollen wir eben einen schlechten. Weil
an allem immer nur der Feind schuld gewesen sein sollte, vergaßen sie, daß er
an ihrer Grenze stand, und holten ihn schließlich ins Land. Die Erkenntnis,
daß es den Feind wirklich gibt, wird ohne die Zerstörung des Landes nicht mehr
zu haben sein.
Der Westen hat, und das ist ein so alter Trick, die Moral eingeführt, um über
Politik nicht reden zu müssen. Moral, weil sie unter allen möglichen Standpunkten
ausgerechnet den herzzerreißenden wählt, macht sich selber handlungsunfähig;
deshalb ist sie so beliebt. Einen Vorgang moralisieren heißt, ihm seinen Inhalt
nehmen. Das ist mit Erich Honecker geschehen. Mühsam verkneifen sich die Westzeitungen
ein Grinsen, wenn sie die piffigen Sofas von Wandlitz präsentieren.
Der Sieg hatte stattgefunden, als die DDR-Zeitungen das Ende der Privilegienherrschaft
forderten. Was konnte schon an ihre Stelle treten? Brav forderten die Mitarbeiter
der Verlage die Demokratie im Betrieb plus Beteiligung von Westkonzernen. War
die Staatsbürger- kunde wirklich so schlecht?
Der Sieg des Feindes versetzt mich nicht in Traurigkeit, eine Niederlage ist
eine Niederlage, das sind Angelegenheiten bloß eines Jahrhunderts. Was mich
verblüfft, ist die vollkommene Wehrlosigkeit, mit der dem Westen Einlaß gewährt
wird, das einverständige, ganz selbstverständliche Zurückweichen, die Selbstvernichtung
der Kommunisten. Ich habe jeglichen Glauben verloren!, das heißt: Ich bin bereit,
mich dem Westen vollkommen zu überlassen. Kaum ist Honecker gestürzt, da lösen
die Universitäten den Marxismus auf, da wirbt die DEWAG für David Bowie (immerhin),
da druckt die FF dabei Horoskope und die Schriftsteller gründen Beratungsstellen
für ihre Leser oder gleich eine SPD. Wo haben sie ihre Geschichtsbücher gelassen?
Die Kommunisten verschenken ihre Verlage, die ungarische Regierung richtet in
ihrem Land einen Radiosender der CIA ein, und der Schriftstellerverband der
DDR protestiert gegen die Subventionen, die er vom Staat erhält. Sie sind allesamt
verrückt geworden.
Die DDR hat den Beweis erbracht, daß Zeitungs- redakteure, wenn man sie nur läßt,
nicht klügere Zeitungen machen sondern dümmere. Früher stand in den Zeitungen
gar nichts, heute steht das Falsche drin; die Welt handelt absurd, wenn sie
uns vor solch furchtbare Wahl stellt, aber wenn ich es muß, wähle ich den ersten
Zustand.
Die DDR hat sich wehrlos gemacht, systematisch, mit offenen Augen. Endlich können
wir auch die Erfahrungen der Linken im Westen verwerten!, das heißt: Wir werden
sie bitter nötig haben. Wer die Gewerkschaft fordert, wird den Unternehmerverband
kriegen. Wer den Videorekorder will, wird die Videofilme kriegen. Wer die Buntheit
des Westens will, wird die Verzweiflung des Westens kriegen. Wer Bananen essen
will, muß Neger verhungern lassen. Wer die Spaltung Europas überwinden will,
muß den Westen siegen lassen.
Meine Damen und Herren, Sie wissen noch nichts von dem Maß an Unterwerfung,
die der Westen jedem einzelnen seiner Bewohner abverlangt. Was Sie vorerst begriffen
haben: Der Westen ist stark.. Sie haben, statt das gute Geschäft Ihrer schlechten
Regierung zu fördern, die Feinde der Regierung ins Land geholt. Sie haben sich
einen Kulturminister geben lassen, der schon ein paar grünen Jungs vom Spiegel
gegenüber vollkommen hilflos ist, eine widerliche Niederlage.
Die Strategie des Zurückrollens ist aufgegangen. Der Westen hat gesiegt. Er
hat gesiegt, weil seine Herrschaftsformen sozialdemokratisch geworden sind.
Die spätkapitalistische Ökonomie braucht für ihre Existenz keine Rechtfertigung
mehr. Ihre Mechanismen setzen sich durch, ob wir wollen oder nicht. Wie anachronistisch
wirkt ein Zentralkomitee gegen die Weltbank, wie einzig sinnvoll aber auch.
Schalck-Golodkowski war der letzte Internationalist, sein Ende ist das Ende
der Parteibüros im Westen, das Ende der kommunistischen Verlage dort, das Ende
des Ortes, an dem ich früher mich befand. Dies ist ein Schmerz, vor dem kalt
zu bleiben Sie ein gewisses Recht besitzen; ich will Sie nur auf ihn aufmerksam
machen. Es hat westberliner Kreisvorsitzende gegeben, die sich weigerten, ihre
Büros zu räumen, die kurz vorm Barrikadenbau standen.
Die Dummheit der Führung nach Honecker hat uns eine Zeit beschert, in der wieder
negiert werden darf. In den westberliner Buchhandlungen treffen einander die
Verräter.
- Ach du hier.
- Ach du hier.
- Für immer?
- Ja. Du auch? Für immer?
- Ja.
Dann lassen sie verlegen voneinander ab, blättern kurz in einem Buch und verschwinden
schnell. Wir werden uns wieder mit den ganz unintressanten Fragen auseinander- zusetzen
haben, etwa: Wie kommt die Scheiße in die Köpfe? Die Künstler werden alleine
sein, langsam begreifen sie es.
Das Einzige, das mich intressiert bei der Arbeit, ist: Etwas loben können. Ich
hasse Negation.
Am 9. November 1989 hat in Deutschland die Konterrevolution gesiegt. Ich glaube
nicht, daß man ohne diese Erkenntnis in der Zukunft wird Bücher schreiben können.
Vielen Dank.