Ronald M. Schernikau
WAS MACHT EIN REVOLUTIONÄRER KÜNSTLER OHNE REVOLUTION?
Dieses ist eine Huldigung an Andy Warhol, den einzigartigen, undemokratischen, nicht wieder- holbaren, den letzten Verfechter des traditionellen Kunstbegriffs.
I.
Die Sätze und Bilder von Andy Warhol versuchen, wie alle Kunst, die Frage zu beantworten: Wie kann man leben. - Wie kann man unter Toten leben? Können wir leben ohne Hoffnung? In einer Welt, in der Bejahung immer nur die Bejahung des Reaktionären zu sein scheint, wie kann es eine Freude geben, ein Vergnügen, eine Schönheit? Was macht ein revolutionärer Künstler ohne Revolution?
II.
Andy Warhol: Wenn ich heimkam, war ich sehr froh, wenn ich eine kleine Küchenschabe fand, mit der ich reden konnte. - Charles Lisanby: Er strahlte eine besondere Verletzlichkeit aus, wie Marilyn Monroe oder Judy Garland. - Victor Bockris: Andy war in der Lage, sein Leben mit jedem zu teilen, mit dem der Zufall ihn zusammenführte. - Vito Giallo: Ich glaube, ihm gings prima, wo er auch war. Er war positiv, was das Leben betrifft.
Denn natürlich ist Andy Warhol das ideale Identifikationsangebot. Wir lesen Bücher über Künstler, weil wir wissen wollen, wie die anderen zurechtgekommen sind, und jedes Buch gibt seine eigene Antwort. Biografien gleichen Bildungsromanen und Bildungsromane gleichen Krimis: Es interessiert uns das Ende, das Gelungensein. Die Vollendung. Ondrej. Andek. Andrew. Andy: jeder braucht Vorbilder, um keinen Selbstmord zu machen, und der Starkult in Amerika ist eine primitive Nachricht davon.
Andy Warhol ist der Sohn eines tschechischen Stahlarbeiters, der nach Amerika ging. Er studiert Malerei und wird ein erfolgreicher Werbegrafiker. Er möchte Kunst machen. Aber niemand will die Kunst eines Gebrauchsgrafikers.
Suzi Frankfurt: Andy und ich liefen mit Plastiktüten voller Bücher rum und versuchten, sie zu verkaufen, doch kein Mensch wollte sie. - Das ist 1959, und die Rede ist von ganz wunderbaren selbstgefertigten Bänden, zart und witzig und bunt. Aber hätte ich sie damals gekauft? Natürlich nicht. Biografie ist die Behauptung von Zusammenhang. Man sieht Kunst, man sieht aber auch, sehr wichtig, Künstler.
Andy Warhol war schwul, und überhaupt leuchtet uns allen ja sofort ein, daß die Homosexualität es ist, die den Fortbestand der Welt garantiert. Wo wäre das zwanzigste Jahrhundert ohne Faßbinder, Mapplethorpe, Paradshanow, Hockney, Eisenstein: noch im neunzehnten. - Auch Jasper Johns und Robert Rauschenberg waren schwul, sie lebten zusammen und machten auch Kunst. Aber Warhol fühlte sich von ihnen nicht akzeptiert, und einmal traf er einen Kunsthändler auf einer Party, der es wissen mußte. Warhol fragte ihn: Warum mögen die mich nicht? Die Antwort des Kunsthändlers steht in jedem der Bücher über Warhol, ich habe diese Antwort in fünf Übersetzungen lesen dürfen, und eine wie die andere waren die Übersetzungen falsch. Die Antwort lautet auf englisch: You're too smart. Übersetzt wird das mit: Du bist zu schick, du bist zu schickimicki, du bist zu tuntenhaft (dieses Wort gibt es überhaupt nicht), du bist zu tuntig - die richtige Übersetzung ist einfach: Du bist zu schwul. Warhols Kunst, auch wenn er Katzen malt, ist schwul. Und schwul wollten Johns und Rauschenberg nicht sein.
Victor Beckris: Als der Modefotograf Dick Rutledge zu Andy sagte: »Ich kann Amerika nicht mehr ertragen! Ich kann diese Scheißmodewelt nicht mehr ertragen! Ich bring mich um!«, erwiderte Andy. »Oh, kann ich dann deine Armbanduhr haben?« Es war eine sehr teure Uhr. Rutledge nahm sie ab und warf sie ihm hin. Andy behielt die Uhr bis an sein Lebensende.
Noch Jahre nach deren Tod antwortete Warhol auf die Frage nach dem Befinden seiner Mutter: Oh, fine. - Ondine: Every colour was gold. - Rainald Goetz: Ich wollte so gerne, daß seine Haare echt wären. Ich Dummkopf.
III.
Andy Warhol: Ich finde, es wäre toll, wenn mehr Leute Siebdrucke machen würden, weil dann niemand weiß, ob mein Bild von mir ist oder nicht. - Andy Warhol, der letzte Verfechter des traditionellen Kunstbegriffs. Die Bilder von Andy Warhol sind auf Abbildungen nicht zu erkennen. Der »Single Elvis« ist ein auf eine Leinwand gedrucktes Foto und sieht also auf einer Reproduktion aus wie ein Zeitungsfoto, allerdings eines aus einer schlecht gedruckten Zeitung. In einer Reproduktion geht das warholhaftige an dem Warhol sofort verloren. Das Bild ist auf einer Abbildung nicht zu erkennen. Es existiert überhaupt nur im Original, in dem Raum, in dem es sich befindet. Das zeugt von dem traditionellsten Kunstbegriff, der sich denken läßt.
Wer eine Suppendose malt, verzichtet auf den Massencharakter von Kunst. Wer die Verpackungskartons von Soap Pads aus Holz nachbaut und sie mit Siebdrucken veredelt, die ihren industriell gefertigten Vorbildern vollkommen gleichen, der erzeugt eine Exklusivität des Gegenstands, die sich mit jedem Kronjuwel messen kann. Der Fetischcharakter der Ware wird ersetzt durch den Fetischcharakter des Kunstgegenstands. Alle Einzigartigkeit ist undemokratisch. Warhol setzt die Einzigartigkeit der Kunst nicht außer Kraft: er treibt sie in neue Höhen. Er erzählt denen, die die Gegenstände kennen, von diesen Gegenständen. Nur der Gegenstand, den alle kennen, kann veredelt werden. Surrealistisch malen sie heute in den Gymnasien: Warhol aber geht nicht nachzuahmen.
Durch alle Texte in allen Büchern zieht sich die Frage: Bedeutet die Abbildung einer Suppendose die Bejahung dieser Suppendose? Die Frage verkennt das Genre. Die berühmten Suppendosen kommen einfach aus der Tradition des Stillebens: Ich male, was ich sehe. Vorarbeiten zeigen, daß Warhol durchaus nicht das Emblem zuerst gesehen hat, sondern den Gegenstand selbst. In der fortschreitenden Vereinfachung des Motivs kommt dann eine Frontalsicht zustande, mit ihr erst wird das Etikett zum Bildinhalt, die Ikonografie. Nur durch Betrachtung also kommt Warhol zur Satire.
In den schlechten Fernsehserien müssen bei Straßenszenen immer Statisten durchs Bild laufen, das ist dann Realismus. Auf den Stilleben bis Warhol hängt immer der eine oder andere Ast ins Bild oder eine Tasse ist leicht angeknickt. Wie zufällig! Warhol verweigert sich dieser Sorte Arrangement. Er nimmt die Suppendose und malt sie von vorn, ohne irgendwas. Wie viel mehr beeindruckend, wenn er danach der Dose das Etikett herunterreißt und sie dann malt, entblößt und entwürdigt, ein Objekt unseres Mitgefühls.
Robert Rauschenberg malt um die Zeichen des Alltags immer irgendwelche Striche, die wohl die ganz eigene Sicht des Künstlers symbolisieren sollen. Warhol entwickelt diese seine Sicht aus dem Gegenstand heraus, aus den Linien, die da schon sind. Das ist klüger und weitaus beeindruckender. Warhol vertraut auf seine Darstellung ganz. Warhol braucht keine Erläuterung. - Einen guten Theatertext erkennt man daran, daß er keine Regieanweisungen braucht.
Eine der lustigsten Beschreibungen ist die von Ultra Violet, wie Warhol seinen Leuten in der Factory den Film Blow Job vorführt. Starr vor Entsetzen und Faszination sitzen diese doch nun abgebrühten Typen und sind eine geschlagene halbe Stunde dem Gesicht eines Mannes ausgesetzt, der sich einen blasen läßt: Aber nur dem Gesicht! Ultra schreibt: »Es ist nervenaufreibend. Ich möchte aufstehen und die Kamera ergreifen und sie nach unten richten, um die Handlung aufzunehmen. Aber das ist ausgeschlossen, und so entsteht ein Gefühl der Enttäuschung.« Und: »Die Handlung geschieht so beiläufig wie Haareschneiden oder Zähneputzen.« - Dieser Satz nun knüpft - wohl eher unwissentlich - an die berühmte Diskussion zwischen Zetkin und Uljanow an, an Uljanows Ablehnung von Kollontais Glas-Wasser-Theorie, mit der sie den Absurditäten der individuellen Geschlechtsliebe begegnen wollte. Und diese Diskussion ist ja nicht abgeschlossen, bei Leibe nicht.
Für sein Porträt »Ethel Scull Thirty-Six Times« will Warhol es der Dargestellten überlassen, die sechsunddreißig Abbildungen zu hängen. Es spielt keine Rolle, sagt er und setzt sich in die Bibliothek, während sein Assistent, Ethels Mann und Ethel selbst das Ganze hängen. Als er reinkommt, wechselt er ein paar Porträts aus: Dies sollte hierhin und das dorthin - ein paar kleine Korrekturen. Wieder sagt er: Es spielt wirklich keine Rolle. Es ist einfach wunderbar. Aber ihr könnt es auf jede beliebige Weise verändern, wenn ihr wollt. - Welch ein schöner Anspruch, wie bewußt in den eigenen Mitteln, wie freundlich aber auch gegenüber dem Betrachter. Ein Künstler weiß, was er tut, und kann, was er weiß, und er möchte, daß die anderen das auch wissen und können.
Natürlich darf man nicht auf Wiederholung reinfallen und glauben, sie sei etwas Maschinelles. Warhol hat das so gerne erzählt, und ich liebe ihn dafür (ich gebe zu, es gibt da ein moralisches Problem, man soll sein Publikum nicht verarschen). Bloß weil Warhol behauptet, jeder könne malen wie er, glauben sie es ihm, beleidigt zugleich über die Möglichkeit und daß sie sie nicht verwirklichen.
Kunst ist immer elitär, denn sie wurde von dem einen gemacht und nicht von den andern. Wenn es Demokratie in der Kunst gibt, dann als Wunsch, als entfernte Möglichkeit. Die »Do-It-Yourself«-Serie ist so ein Wunsch. Sie bietet Bilder, deren Vollendung dem Käufer angeboten wird. Eine Landschaft wird angedeutet, ein Tisch mit Blumen, und zwei Drittel des Bildes bestehen aus Umrissen und Nummern darin. Malen nach Zahlen. - Andy Warhol: jeder könnte tun, was ich tue.
Wer Wiederholung nur als Wiederholung zu sehen vermag, der wird Warhols Bilder freilich nicht verstehen. Wiederholung kann Lachen auslösen, sie kann aber auch bedrohlich wirken. Eine Atombombe ist beunruhigend, 25 Atombomben sind 25 mal so beunruhigend.
John Cage: Mit allen Mitteln der Wiederholung hat Andy darum gekämpft, uns allen zu zeigen, daß es keine Wiederholung gibt.
IV.
Gore Vidal: Sich über die Filmkunst lustig zu machen, indem man Jungens die Hosen ausziehen läßt, nur weil alle ihre Schwänze sehen wollen, und das wieder und wieder zu tun und die Leute fast in den Wahnsinn zu treiben, die über Filme schreiben, das halte ich wirklich für genial.
Die meisten Menschen scheinen zu glauben, daß Abbildung Zustimmung bedeutet, ein merkwürdiger Irrtum. Abbildung bedeutet immer nur Abbildung. Und wenn wir alle die Funktion des Geschichtenerzählers für ungenügend ansehen, so heißt das doch nicht, daß es keine Geschichten gäbe. Kunst ist die Fähigkeit, durch Abbildung Stellung zu nehmen. - Die Welt ist falsch eingerichtet, und also trägt jede Abbildung die Information, daß die Welt falsch eingerichtet ist. Und wenn die meisten Menschen ganz offenbar unfähig sind, diese Informationen wahrzunehmen, dann heißt das ja nicht, daß deshalb die Welt schon richtig sei. Sie ist falsch eingerichtet, egal, ob der Betrachter des Bildes das weiß, oder der Macher des Bildes. - Nach Paul Morrisseys Meinung waren die einzig wirklichen Künstler Amerikas Filmschauspieler und Rockstars. Trivialität bezeichnet eine bestimmte Weise durchzukommen.
Zum Machen von Kunst gehört, sich zum Anfang von Urteilen frei zu machen. Leute, die arbeiten (die meisten Leute arbeiten ja nicht), Leute die arbeiten also, probieren Urteile oft aus, sie probieren an Sätzen herum. Man kann über alles alles behaupten, nur irgendwann muß man sich für eine Behauptung entscheiden. Bei den unwichtigen Sachen aber ist vielleicht dies nicht nötig. Ein Film ist gut oder schlecht, sich darüber zu ereifern unnötig. Und vielleicht gibt es auch einen Punkt, an dem es unnötig wird, sich über den Tod zu ereifern oder eine Person, die wir alle kennen. Das Gesicht von Marilyn übersteht alle unsere Blicke, und natürlich übersteht es auch Warhols Farben in ihm.
John Heartfield wurde damit berühmt, daß er seine Aufrufe zur Revolution nach ornamentalen Gesichtspunkten schuf, er signalisierte damit, daß er schon wußte, daß sich Ehrlichkeit und Literatur niemals zusammenfinden werden. Die Electric Chairs von Warhol brauchen kein Ausrufezeichen; sie strahlen eine so existentielle Einsamkeit aus, die soll erst mal einer nachmachen. Der Red Race Riot - also ein Rassenkonflikt auf roter Leinwand - braucht nur ein paar Fotos aus der Zeitung, um Stellung zu nehmen. Es gibt keine Abbildung ohne Stellungnehmen. - Allen Ginsberg: Es ist wirklich nicht seine Schuld.
Als ihn Valerie Solanis anschießt (»Er hatte zuviel Macht über mich«), da sinkt er also unter den Schreibtisch, über ihn beugt sich Billy Name (wunderbarer Name! Name!), Billy Name schluchzt, und Warhol hält das Schluchzen für Lachen, und unter ungeheuren Schmerzen fleht er Billy an: Don't laugh. Oh please, don't make me laugh.
V.
Denn natürlich ist er ein großer Komiker. Die Four Jackies, die Frau Kennedy mit schwarzem Schleier zeigen, sie gehören zum Komischsten, das je über den Tod gesagt wurde. Immer ist der Tod bloß der Tod der andern, und schließlich fand sich die Abgebildete sogar bereit, mit dem Künstler den einen oder anderen Abend in der Diskothek zu verbringen. Dies scheint mir den Anflug von Siegesgewißheit einzulösen, der die Four Jackies prägt.
John Cale: Wir wollten auf die Bühne und die Leute schwer beunruhigen. Und was wurde daraus? Walter Cronkite und Jackie Kennedy haben zu unserer Musik getanzt! - Weshalb kauft jemand ein Porträt von sich, wenn er darauf häßlich aussieht? Der König, den Goya malte, hat Goya für seine Bilder nicht getötet, eigentlich erstaunlich. Die grotesken Kolorierungen bei Warhol ließen die Liste mit den Porträtwünschen immer länger und länger werden. Die Komplementärfarben, mit denen er seine Porträts unterlegt, stehen sie für Schönheit oder für Häßlichkeit? Wer will das entscheiden.
Es ist müßig, sich zu fragen, ob diese Bilder schön sind oder nicht. Es sind Bilder. Die einzige Chance, etwas schön zu finden, ist, es nicht zu beurteilen.
Es gibt ein Foto von Warhol, da sitzt er neben dem Superman-Darsteller Christopher Reeves, Reeves breitbeinig und sehr amerikanisch lächelnd, der große junge mit dem leeren Kopf - und daneben, klein und schüchtern, Warhol. Das Bild ist die deutliche Parallele zu einem Foto von Bertolt Brecht, wo dieser neben einem Boxer steht: der kleine schmächtige Künstler, der den Ruhm des Trivial-Idols niemals erreichen wird.
Andy Warhol: Als ich mein Selbstporträt gemacht habe, ließ ich alle die Pickel weg, weil man das immer machen sollte. Pickel sind ein zeitlich bedingter Zustand - und sie haben überhaupt nichts damit zu tun, wie man wirklich aussieht. Laß immer die Pickel weg, sie gehören nicht in das gute Bild, das man möchte. - Das, Damen und Herren, ist purer Hegelianismus. Was nicht zum Wesen eines Dings gehört, wird weggelassen. - David Bourdon: Seine Porträts sind weniger Dokumente der Gegenwart als vielmehr Ikonen in Erwartung der Zukunft.
VI.
Ich bin lange nicht darauf gekommen, warum Biografien immer so schlecht geschrieben sind: jemand, der schreibt, hat anderes im Kopf als das Leben anderer. Bücher über Kunst werden nicht von Künstlern geschrieben, sondern von Angehörigen des Publikums. - Ein Journalist braucht ein Ereignis, um schreiben zu können. Ein Autor schreibt über das, was alle sehen.
Wie viele schlechte Bücher ich in meinem Leben schon lesen mußte! Auch heute darf ich Ihnen wieder mehrere Machwerke empfehlen. Man kommt ja nicht drumrum! Ich war nun zum Zwecke der Warhol-Forschung gezwungen, auch die schlechtesten Bücher über ihn wahrzunehmen. Und da bemerkt zum Beispiel kein einziger der ausgesprochen zahlreichen Interpreten den Scherz, den Warhol mit dem Gemälde-Titel Thirteen Most Wanted Men macht: Er meint einmal den Steckbrief, von dem die Bilder tatsächlich abgenommen sind, andererseits aber ist das eben ein schwuler Wortwitz: Diese bulligen Mafiosi sind der Traum jedes kleinen jungen, der die Welt der großen starken Männer zu entdecken sich auf die Reise macht. Das Begehren.
Trotzdem gibt es Unterschiede. Manche verstehen gar nichts, manche wenigstens ein bißchen. Es folgt der Service-Teil.
Das Buch von Victor Bockris ist zweifelsohne das Grundlagenwerk, auf das sich die Generationen nach uns beziehen werden, wenn sie von Andy Warhol reden. Bockris schreibt meistens unauffällig, was, im Vergleich zu der verquälten Prätention etwa eines Stephen Koch, ganz erfreulich und angemessen ist. Bockris läßt viele der Beteiligten selbst sprechen, und er tut dies, indem er den Namen in Schrägschrift setzt und ein wörtliches Zitat folgen läßt. Das ist, in seiner Selbstbeschränkung, ideal. Bockris also gehört gekauft.
Ganz anders verhält es sich mit dem Buch von Fred Lawrence Guiles, das ganz genau denselben Zweck wie das von Bockris verfolgt und dabei in einem Maße dumm, schwätzerisch und anmaßend ist, daß man sich wirklich fragt, warum es nicht ein Weltgericht gibt, das solche Texte über einen Menschen verbietet. Guiles ist von Beruf Biografien-Schreiber (»Marilyn Monroe«, »Stan Laurel«, »Tyrone Power«, »Jane Fonda« und mehrere andere), und er macht sich nicht die leiseste Mühe, auch nur den Ansatz eines Ansatzes vom Leben Andy Warhols zu begreifen. Seine Wertungen sind konventionell, mehr als das, sie sind reinrednerisch und selbstgefällig. Anekdoten werden verhunzt, Pointen verschenkt oder verfälscht, Entwicklungen verflacht und schlicht nicht begriffen. Wenn ich die Widerwärtigkeit der amerikanischen Seele studieren will, dann doch lieber anhand des Biografaten anstatt an der des Biografanten.
Auch an dem Buch von Stephen Koch, in dem sich in quälendstem Blahblah seitenlange Beschreibungen der Filme von Warhol reihen, ist höchstens interessant, zu welch emotionalem Engagement sich jemand hinreißen läßt, der Warhol noch selbst gekannt hat.
Wirklich liebenswert dagegen die Memoiren von Ultra Violet, einem der weiblichen Stars von Warhols Filmen. Viel hat Ultra nicht zu sagen, aber sie sagt es, für uns Warhol-Fans unentbehrlich, mit naivem Charme, der seine sympathisch durchtriebenen Seiten hat - etwa, wenn sie verzweifelt versucht, die Sexualität von Warhol auch nur annähernd zu begreifen. Ultra ist reich und neugierig, und das scheint eine ganz wirkungsvolle Mischung zu sein. - Das Buch übrigens ist beneidenswert ausgestattet. Die Schrift ist violett und angenehm einfach, auch der Faden der Fadenbindung ist violett, das Papier ist schwer und trotzdem nicht protzig, nur der Fototeil tut etwas zuviel des Guten, er ist überstylt. Man sollte Lübbe-Autor werden.
Wer möchte, daß ihn seine Freunde für was Besseres halten, der kauft das Buch von David Bourdon. David Bourdon bietet alle Anekdoten, aber er bietet sie komprimiert und in etwas gehobener Form, die schlimmen Wörter sind getilgt und das Biografische ziemlich auf die künstlerische Entwicklung reduziert. Zudem ist Bourdon Kunstwissenschaftler, und er bietet von allen angezeigten Büchern als einziger einen Kommentar, der nicht vollkommen schwachsinnig ist. Auch seine Bilder-Auswahl ist die qualifizierteste.
Wer sich für nichts interessiert als möglichst viele Bilder von möglichst viel Warhol, der kauft sich die Andy Warhol Retrospektive und wird hervorragend bedient. Den Text darf er allerdings nicht lesen und Entwicklung nicht erwarten. Das ist einfach ein Potpourri.
Wer die schwarze Seite an Warhols Humor besonders mag, der kauft sich das Buch aus dem Kellner Verlag. Hier ist alles über den Tod versammelt, aus dem Fenster springende Frauen, elektrische Stühle und auch die großartigen Thirteen Most Wanted Men.
Wer drei Kusinen hat, die noch nicht lesen können, kauft dreimal das Buch von Klaus Honnef, das hervorragend zum Kaputtschneiden geeignet ist. Der Text kann ignoriert werden, ohne ihn auch nur angelesen zu haben, er ist drittklassig zusammengestoppelt und oberflächlich bis falsch in der Wertung. Aber das Buch kostet nur zwölf D-Mark und ergibt also für unsereinen schon eine komplett mit Warhol-Bildern vollgehängte Wohnung.
Der Hannibal Verlag in Wien verschickt das Buch des Fotografen Christopher Makos in einem Exemplar, das weder gebunden noch auch nur fachgerecht verpackt ist, die einzelnen Bögen fliegen auseinander und die Blätter haben alle diesen ekligen Knick in der Mitte, der entsteht, wenn jemand mit fehlender Feinmotorik ein Buch zu schnell durchblättert. Wenn man bedenkt, daß ich diese ganze Rezension nur schreibe, um die vielen teuren Bücher geschenkt zu kriegen, dann grenzt es an geradezu göttergleiche Gelassenheit, wenn ich dieses Verlagshaus überhaupt noch erwähne. Aber das Buch ist einfach so schön, so herzensgut und liebevoll gemacht - das gehört in den Bücherschrank von jedem, der sich an einem freundlichen Menschen freuen will. Ein Buch voller Fotos mit Warhol, und Warhol auf diesen Fotos kann auf eine untergründige Weise lächeln, die in ihrer schwulen Boshaftigkeit so wenig böse ist, so zugewandt den Dingen, die sich außer Warhol selbst noch auf den Fotos befinden: Das ist einfach reizend. - Christopher Makos: Bei jedem der zwölf Concorde-Flüge, die ich mit Andy unternahm, verging keine Gelegenheit, bei der er nicht Besteck oder Geschirr einsammelte. »Das wurde von Raymond Loewy entworfen und wird irgendwann sehr viel wert sein«, sagte er dann. »Wir müssen davon eine ganze Garnitur zusammenkriegen. Frag doch mal die Dame beim Mittelgang, ob sie dir ihren Fruchtsalat gibt.« Andy hatte mehr als genug von diesem Tischgeschirr - er hätte eine Dinnerparty damit veranstalten können.
Wir sind an die Stelle gelangt, an der es von einem unfaßbaren Verbrechen zu berichten gilt. Holen Sie tief Luft, vergessen Sie alles, was Sie über die Welt wissen, und üben Sie Milde. Anders als in Milde wäre dieses Verbrechen zu betrachten unerträglich. - Die Rede ist vom Tagebuch. Das Tagebuch von Andy Warhol ist ein warmherziges, witziges, weises und unerschöpfliches Werk über die Welt, in der Warhol lebte. Es hat auf unserem Nachttisch zu liegen und die Träume zu entspannen. Es ist Warhol selbst, der hier spricht, und Warhol ist freundlich. Die deutsche Ausgabe des Tagebuches ist besser ausgestattet als die amerikanische, sie kostet dafür auch mehr. Das ist ein Buch, das mich mit tiefem Neid erfüllt. Wie tief, wie wirklich tief mein Entsetzen, als ich bemerkte, daß die deutsche Ausgabe des Tagebuches von Warhol einen Text enthält, dem jede Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Original abgesprochen werden muß. Ich stehe fassungslos vor einer Verstümmelung, die keinen anderen Grund zu haben scheint als den der Inkompetenz von Bearbeiter und Übersetzer. - Wir haben uns daran gewöhnt, daß gerade Übersetzungen aus dem Englischen offenbar mit Vorliebe irgendwelchen Hausfrauen angeboten werden, die ihr Schulenglisch gegen Schleuderpreise in mehr als hilfloses Deutsch pressen - eine meiner Hoffnungen ist, der Spätkapitalismus geht vielleicht daran zugrunde, daß er die Erfindung der Zeitenfolge zur Kenntnis zu nehmen sich beharrlich weigert. Also schlechtes Deutsch, na gut. Weshalb aber, und ich verstehe das wirklich nicht, ich verstehe es einfach nicht, weshalb wird ein Buch mit grandiosen Geschichten verstümmelt? Die Begebenheiten, die Warhol erzählt, sind in der deutschen Fassung unverständlich geworden, die Pointen mißverstanden oder weggelassen. Situationen ganz offenbar nicht erfaßt und der reduzierte Code von Warhol in einem Deutsch wiedergegeben, dessen sich jeder Amtsvorsteher schämen müßte. Ich habe das Geschwätz der Kunstwissenschaftler ertragen, ich habe die dummbatzigen Adjektive ertragen, ich habe sogar die seitenlangen Vorworte ertragen, in denen nichts, aber auch gar nichts stand - aber ich ertrage den Gedanken nicht, daß sich irgendwelche kleinen Geister an einem Text vergreifen, der von einer besseren Welt erzählt: einfach, weil es ihn gibt. - Fluch über alle Herausgeber!
Die Lösung ist einfach: Die unmittelbarste Information über Warhol gibt selbstverständlich Warhol selbst. Sein erstes Buch »a« steht in jeder Bibliothek, sein letztes Buch ist das Tagebuch, und die Leute des schwulen Buchladens in Ihrer Nähe werden entzückt sein, Ihnen die amerikanische Originalausgabe zu besorgen. Die Bücher dazwischen, es sind fünf an der Zahl, wurden nie ins Deutsche übersetzt. Sie heißen »Andy Warhol's Party Book«, »POPism«, »America«, »Andy Warhol's Exposures« und, als bestes Buch, das Amerika in diesem Jahrhundert zustande gebracht hat, »From A to B And Back Again - The Philosophy of Andy Warhol«.
Ein Buch aber gibt es, und es kann also über es geredet werden: Lenin by Warhol. Wir heben uns die Rede über dieses Buch für das Ende auf.
VII.
Andy Warhol: Ich war der Ansicht, daß die Leute irgendwann einmal über sie nachdenken sollten: über das Mädchen, das vom Empire State Building sprang, über die Frauen, die den vergifteten Thunfisch aßen, und über die Menschen, die bei Verkehrsunfällen umkamen. ( ... ) Da dachte ich, es wäre vielleicht schön für diese unbekannten Menschen, wenn einmal Leute an sie denken, die das normalerweise nicht tun würden.
Ein Aufsteiger ist jemand, der mehr wissen will, als er jetzt weiß. Ein Künstler ist jemand, der dafür keinen Aufstieg braucht. Warhol hatte die Fähigkeit, Leute Sachen zu fragen. Einer seiner Standardsätze war: Oh, tell me.
Und natürlich sind sie sämtlich davon verunsichert. Weshalb sammelt Warhol Autogramme von Leuten, die viel weniger berühmt sind als er selbst? Weshalb freut sich Warhol über jede seiner Erwähnungen in der Zeitung, wo er die doch fast jeden Tag kriegt? Und weshalb wird Warhol so reich?
Alle Künstler streben an, Millionär zu werden - sie wollen von Tauschgeschäften verschont sein (Hacks hat ein Buch darüber geschrieben). Kunst geht nicht zu bezahlen, also verlangt der Künstler vernünftigerweise den Höchstpreis und begnügt sich mit einem unbeheizbaren Zimmer auf dem Hinterhof. Wenn dann der Künstler einmal Geld verdient, zieht er die Wut aller Drumrumstehenden auf sich. Weshalb hat er etwas geschafft, das er viel weniger gewollt hat als sie, die es immer noch verzweifelt anstreben? - Es ist ein Kleinbürgerneid. Es ist ein Kleinbürgerneid, der sich durch sämtliche Schilderungen der späten Jahre Warhols zieht. Es ist der Neid derer, die Warhol zuerst verachten, weil er sich kein Wohnzimmersofa anschafft, und kurz darauf, weil er sich eine ganze Wohnung mit ihnen vollstellt. Das Publikum begreift nicht, daß es zwei Arten gibt, von Geld unabhängig zu sein: es nicht zu besitzen oder es zu besitzen.
Ich werde nie verstehen, wie man auch nur eine Sekunde lang von den Flowers als etwas Künstlichem reden kann. Dieses in unendlichen Variationen kolorierte Amateurfoto ist doch schön! Das sind so freundliche, friedliche Bilder, nicht die Spur zynisch oder denunziatorisch. Was erwarten die Interpreten? Das neunzehnte Jahrhundert? Das ist vorbei. Die Flowers sind, deutlich und überdeutlich, der Versuch zu Schönheit. Sie sind der gelungene Versuch.
Als er von der Popular Culture Association eine Auszeichnung für seinen »Beitrag zum Verständnis der Homosexualität« bekommt, da geht Warhol bei der Verleihung nach vorne, stellt seinen Kassettenrekorder auf das Pult und sagt, als einziges und mit seiner leisen Stimme: Danke. - So freundlich muß man erst mal sein! In seinem Tagebuch besucht er Robert Mapplethorpe, als der schon krank ist, und schließt die Beschreibung mit dem Satz: Ich hoffe, er kommt durch. Wenn das Reduktion ist, dann ist das die Reduktion der Bibel, die Reduktion auf das, was zu sagen lohnt. - Was mehr an Beweis für Freundlichkeit könnte man verlangen von einem Künstler, der den Satz spricht: Die Welt fasziniert mich.
Stephen Koch: Persönlichkeit ist ein Mysterium für ihn. - Die Zerstörung von Psychologie, wie sie die Kunst des späten Bürgertums eben liefert von Eisler bis Jelinek, sie gilt noch immer als Zeichen für Kälte. Dem Künstler wird sein Gegenstand zum Vorwurf gemacht. Die Verweigerung von Gefühl aber kann ein Versuch zu Klassik sein.
Am Schluß ihres Buches listet Ultra Violet die Toten auf, fünf engbedruckte Seiten mit Namen und Todes-Arten. Das ist die Wirklichkeitsseite an Warhols Kunst, unsinnige, furchtbare Zerstörungen, die Leben gekostet haben. Die Welt zu benutzen für seine Kunst heißt nicht, die Welt zu billigen. Neben einem Drogensüchtigen auf einem Sofa zu sitzen heißt nicht, das Einnehmen von Drogen zu billigen. - Warhol selbst hat übrigens so gut wie keine Drogen genommen, ganz im Gegenteil zu den Leuten, die um ihn waren. Die Welt, furchtbar wie sie ist, muß so genommen werden. Dann kommt die Kunst dazu.
Es gibt ein Bild von Warhol, das erst unter UV-Strahlen sichtbar wird, es zeigt die einem Amateurfoto ähnelnde Abbildung zweier überdimensionaler Titten, man kann sie wirklich nicht anders nennen, das sind Titten. Warhol konnte die Serie mit UV-Bildern nicht weiterführen. Sie waren nicht abzusetzen. Es wollte sie niemand. Warhol machte dann keine mehr. - Vielleicht ist alles richtig. Vielleicht hat das Publikum recht, die radikalsten Versuche seiner Künstler eben abzulehnen. Vielleicht gehört zur Kunst das Publikum der Kunst dazu.
Stephen Koch: I think Warhol participates very deeply in America's best kept secret - the painful, deeply denied intensity with which we experience our class structure. - Wer die Wohnung von Andy Warhol betrat, erblickte zuerst eine Büste von Napoleon. - Christopher Makos: Er war auf der Suche nach etwas Spirituellem.
VIII.
Andy Warhol: Ich habe nicht mit dem Malen aufgehört. Ich male meine Nägel an. Ich male täglich meine Augen an. - Baby Jane Holzer: Ich glaube, daß Andy einer der glücklichsten Menschen ist, die ich kenne. - Andy Warhol: Wissen Sie, man muß so tun als ob.
Ich habe lange gebraucht zu verstehen, daß Literatur nicht Inhalte gibt, sondern ein Beispiel. Der Satz All Is Pretty meint nicht daß alles hübsch sei - das wäre Schwachsinn -, er meint: Möglicherweise kann es in bestimmten historischen Momenten sinnvoll sein, die Bejahung, die jeder Mensch zum Leben braucht, auch aus Dingen zu holen, deren Bejahung nicht selbstverständlich ist, und aus dieser schwierigen Bejahung Kraft zu ziehen für eine Arbeit, die Bejahung weniger gebrochen ermöglicht.
Wenn ich nichts anderes kenne, keinen kleinsten Schritt hinaus, wen kann ich malen? Eine der Lösungen war Mao, der in den bürgerlichen Medien als der große Asket verkauft wurde und der sich jemandem, der gut zu leben sich vorgenommen hatte, also als Gegenbild anbot. Kunst ist immer ein Schritt in eine andere Welt, und eine andere Welt, das heißt auch, von mir selber weg, von meinem Wissen in ein anderes Wissen. Dieser Versuch zu einer äußersten Gegenposition macht die Faszination des dargestellten Gegenstandes immer aus. Wenn selbst der unerwünschteste Tod doch Teil des Lebens ist, das wir selber leben, wenn in der Dialektik aus Schock und Dekoration immer nur auch die platte Freude an Warhols Bildern möglich war - die Welt bewies dies diesen Bildern gründlich -, dann mußte doch trotzdem Freundlichkeit möglich sein? Überwindung? Irgendein anderes?
Damit wir uns nicht mißverstehen: Ich behaupte nicht, Warhol sei Kommunist gewesen, das wäre eine alberne Behauptung, oder auch nur politisch interessiert. ja, wahrscheinlich ist er niemals auch nur einem Kommunisten begegnet. Ich erlaube mir, ganz von außen an Warhol heranzugehen, einfach weil ich genau weiß, was in seinem Inneren vorging.
Ronnie Cutrone: Ein gutes Beispiel war seine Italienreise, wo er überall die Hammer-und-Sichel-Graffiti sah. Da er ein Auge für Ikonen hatte, sagte er, als er zurückkam: »Warum machen wir nicht Hammer und Sichel?« Und schon durchstöberte ich die nächsten drei Wochen sämtliche kommunistischen Buchhandlungen der Stadt; ich bekam geradezu einen Verfolgungswahn, weil ich immer denken mußte, wenn die - das FBI - diese Läden überwachen, dann bin ich auf einer ganzen Menge Videos zu sehen, das machte mich richtig nervös. Und dann fand ich noch nicht mal was Richtiges, weil Andy unbedingt mit einem Schatten arbeiten wollte. Also ging ich in die Canal Street und kaufte mir einen richtigen Hammer und eine richtige Sichel, die fotografierte ich dann x-mal. Er suchte sich dann was aus, und wir machten die Drucke.
Das Lenin-Buch also.
Die letzte Serie, die Warhol abschloß, zeigt Wladimir Iljitsch Uljanow, der seinen Beruf (er war Revolutionär) unter dem Namen Lenin ausübte. Der Münchner Galerist Bernd Klüser hatte Warhol ein Bild des Politikers gezeigt. Klüser: »Andy Warhol akzeptierte den Vorschlag mit der ihm eigenen unemotionalen Begeisterung nach einem kurzen Blick auf das Foto.« Und: »Ich werde nie den Eindruck vergessen, den alle großformatigen Porträts, aufgereiht an einer Factorywand, auf mich machten. Aber auch nicht Andy Warhols Stolz auf diesen Zyklus - wenige Tage vor seinem Tod.«
Das Buch, das Klüser aus dem Zyklus gemacht hat, ist eine reine, pure, ungebrochene Freude. Es ist schmal und weiß und leider nicht billig, es zelebriert die Serie, wie es der Serie angemessen ist: schweres Papier, Frontispiz mit Seiden-Vorsatz, ein kleines Bildmaterial als Hinführung zum Thema, und dann jedes einzelne Bild der Serie in noch handlichem, aber nicht zu kleinem Format, jedes hat eine Seite für sich. Das ist ein liebevoll gemachtes Buch von schwermütiger Gediegenheit, und die Verunsicherung, die sicherlich jeden angesichts der Gegensätzlichkeit von Abbildendem und Abgebildetem ergreift, sie zieht sich produktiv durch dieses erhabene Werk.
Das Klügste aber an der Arbeit der Herausgeber sind die beiden Zitate, die sie den Bildern, offenbar selbständig, zugeordnet haben. Zum einen sind das Warhols berühmte Sätze: Das Schönste an Tokio ist McDonald's, das Schönste an Stockholm ist McDonald's, das Schönste an Florenz ist McDonald's. Peking und Moskau haben bis jetzt noch nichts Schönes. - Und zum anderen sind das die Sätze von Lenin, die Gorkij in seinem Nachruf auf ihn mitteilt - und die Klüser witzigerweise nach einer antikommunistischen Quelle zitiert. Die Sätze sind ganz edel in das Buch eingeklebt, weiß auf rot in klassischer Schrift, sie lauten:
Ich kenne nichts Schöneres als die »Appassionata« und könnte sie jeden Tag hören. Eine wunderbare, nicht mehr menschliche Musik! Ich denke immer, mit vielleicht naivem, kindlichen Stolz: daß Menschen solche Wunder schaffen können! - Aber allzuoft kann ich diese Musik doch nicht hören. Sie wirkt auf die Nerven, man möchte liebe Dummheiten reden und Menschen den Kopf streicheln, die in schmutziger Hölle leben und trotzdem solche Schönheiten schaffen können. Aber heutzutage darf man niemandem den Kopf streicheln - die Hand wird einem sonst abgebissen. Schlagen muß man auf die Köpfe, unbarmherzig schlagen - obwohl wir im Ideal gegen jede Vergewaltigung der Menschen sind. Hm, Hm, - unser Amt ist höllisch schwer.
IX.
Was ein Künstler ohne Revolution macht? Na Kunst.
Die Bücher
Victor Bockris. Andy Warhol. Claassen 1989
Fred Lawrence Guiles. Andy Warhol - Voyeur des Lebens. List Verlag 1989
Stephen Koch. Stargazer - Andy Warhol's World and His Films. Marion Boyars 1985
Ultra Violet. Andy Warhol Superstar. Lübbe 1989
Klaus Honnef. Andy Warhol. Taschen Verlag 1989
Christopher Makos. Warhol. hannibal Verlag 1989
Vester (Hg.). Andy Warhol. Verlag Michael Kellner 1986
Kynaston McShine (Hg.). Andy Warhol Retrospektive. Prestel-Verlag 1989
David Bourdon. Warhol. DuMont 1989
Lenin by Warhol. Galerie Bernd Klüser 1987
Andy Warhol. Das Tagebuch. Droemer Knaur 1989
The Andy Warhol Diaries. Warner Books 1989
aus: Literatur-Konkret 1990, S. 20